- Physiknobelpreis 1987: Johannes Georg Bednorz — Karl Alexander Müller
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Der deutsche und der schweizerische Physiker erhielten den Nobelpreis für ihre bahnbrechende Entdeckung von Supraleitung in keramischen Materialien.BiografienJohannes Georg Bednorz, * Neuenkirchen (Nordrhein-Westfalen) 16. 5. 1950; Studium der Chemie, Mineralogie und Kristallographie in Münster, 1982 Promotion an der ETH Zürich, seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am IBM Zürich Research Laboratory Rüschlikon.Karl Alexander Müller, * Basel 20. 4. 1927; Studium und Promotion in Physik an der ETH Zürich, 1959 Projektleiter am Battelle Memorial Institut in Genf; 1962 Habilitation an der Universität Zürich und seit 1973 Leitung der Abteilung für Physik des IBM Zürich Research Laboratory Rüschlikon, 1982 zum IBM-Fellow ernannt.Würdigung der preisgekrönten LeistungHeike Kammerlingh Onnes (Nobelpreis 1913) nannte das Naturphänomen, das er bei seinen Forschungen zur Tieftemperaturphysik im Jahr 1911 entdeckte, »Supraleitung«. Der elektrische Widerstand, den Quecksilberdrähte einem Stromfluss bieten, war verschwunden, als sie auf 4,15 Kelvin (K; 273,15 K = null Grad Celsius) abgekühlt waren. Das ist ein wenig kälter als die Temperatur, bei der Kammerlingh Onnes erstmals Helium unter ein bis zwei Atmosphären Druck verflüssigen konnte. Zunächst glaubten der sehr erfahrene Experimentalphysiker und seine Mitarbeiter an einen Fehler im Versuchsaufbau. Andere Geräte wurden benutzt und immer wieder wurden die Messungen wiederholt, doch ein elektrischer Widerstand ließ sich nicht messen.Für Kammerlingh Onnes' Experiment zur Heliumverflüssigung war es nötig, den Heliumdampfdruck ständig unter dem Atmosphärendruck zu halten; doch als diese Bedingung einmal versehentlich nicht beachtet wurde und der Druck anstieg, kletterte auch die Temperatur nach oben, und als sie den Wert von 4,2 K erreichte, zeigte das Messgerät plötzlich einen elektrischen Widerstand des Quecksilbers an. Der »Rücksprung« konnte von den Forschern auch bei dem Prozess in Richtung niedrigen Drucks beobachtet werden: Wenn die Temperatur unter 4,2 K fiel, verschwand der elektrische Widerstand wieder.Elektrische Ströme, die widerstandslos und unaufhörlich durch einen Supraleiter fließen können, ließen großartige Anwendungen in der Elektrotechnik erwarten, doch zu Kammerlingh Onnes Zeiten waren sie nicht realisierbar.1933 entdeckten die deutschen Physiker Walter Meissner und sein Mitarbeiter Robert Ochsenfeld eine vom Verschwinden des elektrischen Widerstands völlig unabhängige Eigenschaft der Supraleiter: Unterhalb der Sprungtemperatur undunterhalb der kritischen Magnetfeldstärke verschwindet das magnetische Feld in seinem Inneren, der Supraleiter wird also diamagnetisch. Diese Verdrängung des magnetischen Felds wird Meissner-Ochsenfeld-Effekt genannt.Hochtemperatur-SupraleitungEtwa 30 reine Metalle erwiesen sich bisher als Supraleiter, allesamt allerdings bei Temperaturen, die keine zehn Grad vom absoluten Nullpunkt entfernt sind. Seit den 1950er-Jahren wurden dann Legierungen und metallische Verbindungen auf ihre Supraleitfähigkeit hin untersucht und es zeigten sich Sprungtemperaturen bis über 20 K. Immer mehr Arbeiten wurden publiziert, in denen von höheren Sprungtemperaturen die Rede war, doch entweder lagen diesen Ergebnissen Messfehler zugrunde, oder das Material war nur während eines kurzen instabilen Zustands supraleitfähig.Als Bednorz und Müller im September 1986 über mögliche Hochtemperatur-Supraleitung in Barium (Strontium)-Lanthan-Kupfer-Oxid-Keramik (Ba-La-Cu-O) bei über 30 K schrieben, wurde ihre Publikation daher skeptisch aufgenommen. Erst als sie einen Monat später in einer weiteren Publikation gemeinsam mit dem Japaner Masaaki Takashige zeigen konnten, dass das Ba-La-Cu-O-System diamagnetisch ist, wurden ihre sensationellen Ergebnisse entsprechend gewürdigt.Müller und Bednorz hatten nicht unter den Metalllegierungen nach neuen Supraleitern gesucht, sondern ihr Interesse auf metallische Oxide gerichtet. Dies zahlte sich aus, denn Material dieser Klasse erwies sich bis etwa 40 K als supraleitend.Müller hatte bei einem Forschungsaufenthalt im IBM-Forschungslaboratorium in Zürich Untersuchungen in dieser Richtung angestellt und Bednorz konnte sein Wissen über den Umgang mit entsprechenden Substanzen erfolgreich mit einbringen. Seit 1983 probierten die beiden Forscher etwa 80 verschiedene keramische Substanzen aus, die eigentlich als ausgesprochen schlechte Leiter gelten. Sie werden allerdings elektrisch leitfähig, wenn einzelne Elemente gegen andere ausgetauscht werden. Eine solche Substitution mit Barium führten Bednorz und Müller an dem metallischen Doppeloxid La2CuO4 durch, das sich dann bei der Temperatur von 35 K (-250 Grad Celsius) als erster Hochtemperatur-Supraleiter erwies.1987 wurden noch weitere Keramiken gefunden, die bei Temperaturen zwischen 90 K und 100 K supraleitend waren. Die Kühlung mit flüssigem Stickstoff ist damit möglich, sodass einer breiten Nutzung der Supraleitung in der Technik keine großen Schwierigkeiten im Wege stehen.In einem Interview sagte Bednorz, dass die erste Reaktion auf die Entdeckung aus Japan kam. Noch im Jahr 1987 wurden allein dort über 1500 Patentanmeldungen registriert, die supraleitende Materialien und eine entsprechende Technologie betrafen. Japan und die USA gaben nach Schätzungen 1990 zusammen etwa 500 Millionen Dollar für Forschungen auf dem Gebiet der Hochtemperatur-Supraleitung aus. Das war damals die Hälfte des weltweit dafür verwendeten Betrags. Für das Jahr 2000 belief sich die Schätzung des gesamten Marktvolumens auf über 20 Milliarden Dollar.AnwendungenEtwa ein halbes Jahrhundert nach der Entdeckung der Supraleitung konnten Supraleiter entwickelt werden, die diese Fähigkeit auch bei starken Stromstärken und magnetischen Feldern beibehielten. Das mögliche Anwendungsfeld dieser Materialien erstreckt sich von der Stromleitung ohne elektrischen Widerstand über Energiespeicherung und -transport, Führungsmagnete für Teilchenbeschleuniger, die Magnet-Schwebetechnik, die auch den Bau von Magnetschwebebahnen ermöglichte, Mikroschaltungen bis zur Medizin. Gerade im zuletzt genannten Bereich gibt es mit der Kernspintomographie eine sehr erfolgreiche Anwendung der Supraleitung: Sie liefert Schnittbilder vom menschlichen Körpern, ohne dass diese einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt werden müssen. In der medizinischen Diagnostik werden inzwischen auch supraleitende Quanten-Interferenz-Instrumente verwendet. Das sind Sonden, die zur Messung sehr kleiner Spannungen, Ströme oder Magnetfelder dienen (beispielsweise das Magnetfeld, das den Herzstrom des Menschen begleitet).R. Seising
Universal-Lexikon. 2012.